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1998-04-27
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5KB
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79 lines
Demokratie direkt
Autor: ppc, mc
Referent:
Hans Hübner, Datenreisender
Jürgen Christ, Journalist bei einem Privatsender (j.christ@bionic.zer.de)
Matthias Lehnhard, Hochschule für bildende Künste, Hamburg
padeluun, Medienkünstler (padeluun@bionic.zer.de)
"Demokratie direkt" war das indirekte Schlagwort dieser Veranstaltung.
Die Möglichkeiten, Demokratie transparenter zu gestalten, Datenbanken
für alle, Wahlen durch Nutzung der elektronischen Datenübertragung
interessiert Hans Hübner. Jürgen Christ ist eher den konventionellen
Medien verbunden. Er erinnerte an die allgemeine Berichterstattung über
'Hacker und das Unwesen, das sie treiben' und das diese Berichte immer
falsch gewesen seien. Die Frage sei aber, ob die ZuschauerInnen die
Wahrheit wissen oder lieber eine gute Story mitbekommen wollen.
Matthias Lehnhardt brachte seine Kompetenz in der künstlerischen
Telematik mit ein. Die Wahrheit gäbe es nicht. Wohl gäbe es eine
Hoffnung, eine Illusion von Wahrheit. Aber 'Wahrheit' und 'Information'
seien falsche Begriffe. Erfahrbar sei nur das, wo der Sinn eine Brücke
zur Erinnerung schlägt. Die Silben "ha hop ü hü" bleiben uns nicht in
der Erinnerung. Der Satz "Der Hase hoppelt über den Hügel" bleibt uns im
Kurzzeitgedächtnis erhalten. Im Grunde würden wir alle in einem
'Realitätstunnel' leben. Wir seien von permanenter Täuschung umgeben. So
sehen wir im Fernsehen nicht fünfundzwanzig einzelne Bilder, die in
einer Sekunde abgespult werden, sondern sehen eine fließende Bewegung.
Der Künstler padeluun möchte dagegen schon gerne auch die Wahrheit
kennen, er glaubt sogar - zumindest für sich selbst - die Wahrheit zu
kennen. Er meint, daß Wahrheit (die in permanentem Fluß ist) aus der
ständigen Kommunikation der Menschen untereinander entspringt. 'Liebe'
sei in diesem Zusammenhang ein wichtiges Wort.
Für die Kommunikation eigneten sich MailBoxen in besonderer Weise. Sie
ermöglichten die schnelle Kommunikation unter großen Gruppen von
Menschen über weite Entfernungen hinweg. Lehnard verwies auf die
Bedeutung, die solchen "Orten der Kommunikation" in der Geschichte
zukam. Die Französische Revolution sei in den bürgerlichen Salons
vorgedacht worden. Ohne die Diskussionen über eine andere Geselschaft
hätten objektive Faktoren - wie die Erhöhung des Brotpreises - nicht zu
jener tiefgreifenden Umgestaltung der Gesellschaftsordnung führen
können. Derzeit kommunizieren weltweit etwa dreißig Millionen Menschen
über MailBoxen. Wie ein Zuhörer kritisch anmerkte, rekrutiert sich diese
"kleine Elite" weitgehend aus der Mittelschicht. Denn vorwiegend hier
fänden sich die nötigen Computerkenntnisse und das erforderliche Geld
für die MailBox-Hard- und Software. Diese soziale Zusammensetzung
beeinflusse die Wahl der Gegenstände und die entstehende "Wahrheit".
Hübner meinte, daß Zeitungen alleine nicht zur demokratischen Kontrolle
des Staates ausreichen. Journalismus lenke das Interesse der Leser
und Leserinnen. Er setze aus der unendlichen Vielfalt der Themen
die "wichtigsten" auf die Tagesordnung. Die "User" dieses Mediums
hätten über den Prozeß keine Kontrolle. In einer Zeit zunehmender
Pressekonzentration steige die Gefahr der Meinungsmanipulation. Bei
MailBoxen sei diese Gefahr nicht gegeben, da die Nutzer selbst ihre
Agenda setzen. In der Diskussion kam auch die Reaktion von
Journalisten auf MailBoxen zur Sprache. Diese seien teilweise
total begeistert über die weitreichenden Möglichkeiten, die sich für
die Recherche öffnen. Die meisten allerdings schlotterten noch vor
Angst, daß sie überflüssig werden könnten. Wozu Zeitung lesen oder
fernsehen, wenn MailBoxen schneller und zuverlässiger informieren. Im
Publikum überwog die Meinung, daß die herkömmlichen Medien nicht
überflüssig würden. Wohl aber würden Journalisten in Zukunft ihrerseits
über die Boxen kontrolliert. Gegenwärtig entwickeln sich die Netze
hin zu verstärkter Kommerzialisierung und Funktionalisierung.
Die Computerszene hätte hier die Aufgabe, das Chaos ihrer bisherigen
Strukturen in die Entwicklung einzubringen.
Ein besonderes Problem bei MailBoxen ist das Fehlen eines direkten
feedbacks. Medienkünstler padeluun verwies auf die großen Unterschiede
zwischen einem Bankraub, der elektronisch, und dem, der mit Revolver
oder Wasserpistole ausgeübt werde. Viele MailBoxbenutzer machten sich
noch nicht in allen Fällen die Folgen ihres Tuns bewußt. Noch immer
dominiere der User mit der zweiten Persönlichkeit, die er oder sie nur
im Netz offenbare. Hier ist aber ein Lernprozeß im Gang. Es bilden sich
Normen aus, das mangelnde Feedback werde es aber auch in Zukunft Usern
ermöglichen, sich psychisch aus der Sache, die sie am Bildschirm
betreiben, herauszukoppeln.