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Text File  |  1998-04-27  |  5KB  |  79 lines

  1. Demokratie direkt
  2.  
  3. Autor:    ppc, mc
  4. Referent:
  5.  Hans Hübner, Datenreisender
  6.  Jürgen Christ, Journalist bei einem Privatsender (j.christ@bionic.zer.de)
  7.  Matthias Lehnhard, Hochschule für bildende Künste, Hamburg
  8.  padeluun, Medienkünstler (padeluun@bionic.zer.de)
  9.  
  10. "Demokratie direkt" war das indirekte Schlagwort dieser Veranstaltung.
  11. Die Möglichkeiten, Demokratie transparenter zu gestalten, Datenbanken
  12. für alle, Wahlen durch Nutzung der elektronischen Datenübertragung
  13. interessiert Hans Hübner. Jürgen Christ ist eher den konventionellen
  14. Medien verbunden. Er erinnerte an die allgemeine Berichterstattung über
  15. 'Hacker und das Unwesen, das sie treiben' und das diese Berichte immer
  16. falsch gewesen seien. Die Frage sei aber, ob die ZuschauerInnen die
  17. Wahrheit wissen oder lieber eine gute Story mitbekommen wollen.
  18.  
  19. Matthias Lehnhardt brachte seine Kompetenz in der künstlerischen
  20. Telematik mit ein. Die Wahrheit gäbe es nicht. Wohl gäbe es eine
  21. Hoffnung, eine Illusion von Wahrheit. Aber 'Wahrheit' und 'Information'
  22. seien falsche Begriffe. Erfahrbar sei nur das, wo der Sinn eine Brücke
  23. zur Erinnerung schlägt. Die Silben "ha hop ü hü" bleiben uns nicht in
  24. der Erinnerung. Der Satz "Der Hase hoppelt über den Hügel" bleibt uns im
  25. Kurzzeitgedächtnis erhalten. Im Grunde würden wir alle in einem
  26. 'Realitätstunnel' leben. Wir seien von permanenter Täuschung umgeben. So
  27. sehen wir im Fernsehen nicht fünfundzwanzig einzelne Bilder, die in
  28. einer Sekunde abgespult werden, sondern sehen eine fließende Bewegung.
  29. Der Künstler padeluun möchte dagegen schon gerne auch die Wahrheit
  30. kennen, er glaubt sogar - zumindest für sich selbst - die Wahrheit zu
  31. kennen. Er meint, daß Wahrheit (die in permanentem Fluß ist) aus der
  32. ständigen Kommunikation der Menschen untereinander entspringt. 'Liebe'
  33. sei in diesem Zusammenhang ein wichtiges Wort.
  34.  
  35. Für die Kommunikation eigneten sich MailBoxen in besonderer Weise. Sie
  36. ermöglichten die schnelle Kommunikation unter großen Gruppen von
  37. Menschen über weite Entfernungen hinweg. Lehnard verwies auf die
  38. Bedeutung, die solchen "Orten der Kommunikation" in der Geschichte
  39. zukam. Die Französische Revolution sei in den bürgerlichen Salons
  40. vorgedacht worden. Ohne die Diskussionen über eine andere Geselschaft
  41. hätten objektive Faktoren - wie die Erhöhung des Brotpreises - nicht zu
  42. jener tiefgreifenden Umgestaltung der Gesellschaftsordnung führen
  43. können. Derzeit kommunizieren weltweit etwa dreißig Millionen Menschen
  44. über MailBoxen. Wie ein Zuhörer kritisch anmerkte, rekrutiert sich diese
  45. "kleine Elite" weitgehend aus der Mittelschicht. Denn vorwiegend hier
  46. fänden sich die nötigen Computerkenntnisse und das erforderliche Geld
  47. für die MailBox-Hard- und Software. Diese soziale Zusammensetzung
  48. beeinflusse die Wahl der Gegenstände und die entstehende "Wahrheit".
  49. Hübner meinte, daß Zeitungen alleine nicht zur demokratischen Kontrolle
  50. des Staates ausreichen. Journalismus lenke das Interesse der Leser
  51. und Leserinnen. Er setze aus der unendlichen Vielfalt der Themen
  52. die "wichtigsten" auf die Tagesordnung. Die "User" dieses Mediums
  53. hätten über den Prozeß keine Kontrolle. In einer Zeit zunehmender
  54. Pressekonzentration steige die Gefahr der Meinungsmanipulation. Bei
  55. MailBoxen sei diese Gefahr nicht gegeben, da die Nutzer selbst ihre
  56. Agenda setzen. In der Diskussion kam auch die Reaktion von
  57. Journalisten auf MailBoxen zur Sprache. Diese seien teilweise
  58. total begeistert über die weitreichenden Möglichkeiten, die sich für
  59. die Recherche öffnen. Die meisten allerdings schlotterten noch vor
  60. Angst, daß sie überflüssig werden könnten. Wozu Zeitung lesen oder
  61. fernsehen, wenn MailBoxen schneller und zuverlässiger informieren. Im
  62. Publikum überwog die Meinung, daß die herkömmlichen Medien nicht
  63. überflüssig würden. Wohl aber würden Journalisten in Zukunft ihrerseits
  64. über die Boxen kontrolliert. Gegenwärtig entwickeln sich die Netze
  65. hin zu verstärkter Kommerzialisierung und Funktionalisierung.
  66. Die Computerszene hätte hier die Aufgabe, das Chaos ihrer bisherigen
  67. Strukturen in die Entwicklung einzubringen.
  68.  
  69. Ein besonderes Problem bei MailBoxen ist das Fehlen eines direkten
  70. feedbacks. Medienkünstler padeluun verwies auf die großen Unterschiede
  71. zwischen einem Bankraub, der elektronisch, und dem, der mit Revolver
  72. oder Wasserpistole ausgeübt werde. Viele MailBoxbenutzer machten sich
  73. noch nicht in allen Fällen die Folgen ihres Tuns bewußt. Noch immer
  74. dominiere der User mit der zweiten Persönlichkeit, die er oder sie nur
  75. im Netz offenbare. Hier ist aber ein Lernprozeß im Gang. Es bilden sich
  76. Normen aus, das mangelnde Feedback werde es aber auch in Zukunft Usern
  77. ermöglichen, sich psychisch aus der Sache, die sie am Bildschirm
  78. betreiben, herauszukoppeln.
  79.